Unterwegs mit
Yanick Wyss, Pistenfahrer Mürren-Schilthorn
Sie sind die Helden*innen der Nacht, die Pistenfahrer*innen. Ihnen haben wir die perfekt präparierten Pisten der Jungfrau Region zu verdanken.
Gegen den Strom
Lichter am Berg, die unermüdlich in Bewegung sind. Rauf und runter, und wieder rauf und wieder runter. Dieses Bild habe ich von Pistenfahrzeugen. Ich kenne sie nur aus der Distanz. Das soll sich heute ändern.
Es ist 15 Uhr, ich fahre von Interlaken nach Stechelberg. Gegen den Strom. Auto um Auto kommt mir entgegen. Viele, die heute in Grindelwald, Wengen oder Mürren unterwegs waren, befinden sich bereits auf dem Nachhauseweg. Nicht so Yanick Wyss, den ich an der Talstation der Schilthornbahn treffe. Im Gegenteil. Wenn die anderen Feierabend machen, beginnt sein Arbeitstag. Der 24-Jährige aus Wilderswil ist Pistenfahrer.
Letzte Instruktionen
Gemeinsam fahren wir mit der Schilthornbahn via Gimmelwald hoch nach Mürren. Hier besammeln sich die Pistenfahrer vor ihrer Schicht, trinken zusammen einen Kaffee. Tauschen sich aus. Die Neuen erhalten wichtige Tipps. Zu ihnen gehört Yanick Wyss nicht. Es ist bereits seine dritte Saison als Pistenfahrer im Skigebiet Mürren-Schilthorn. Ich erfahre, dass wir heute in der Region Gimmeln-Schiltgrat unterwegs sind. Mit dem Leitwolf, der grossen Maschine, die über eine Seilwinde verfügt. «Damit arbeite ich am liebsten», sagt Yanick Wyss, der aber auch regelmässig mit kleineren Pistenfahrzeugen unterwegs ist. Sogar bei der Präparation des Snowparks ist er manchmal eingeteilt. «Beim Skilift Gimmeln ist die Liftspur uneben», erfährt er kurz vor Arbeitsbeginn und verspricht, sich diese genau anzusehen.
12.4 Tonnen – 530 PS
Es ist 17 Uhr, die Lifte sind seit einer halben Stunde nicht mehr im Betrieb. Die Pisten leer. Es kann losgehen. Ich nehme neben Yanick Wyss Platz. Er lässt den Motor an, das System startet auf. Er stellt die Heizung auf 23 Grad ein. «Ich habe es lieber zu warm als zu kalt.» Dann setzt sich das neun Meter lange, fünf Meter breite, 12,4 Tonnen schwere und 530 PS starke Gefährt in Bewegung. Mit der linken Hand steuert Yanick Wyss die Raupen, die rechte Hand hat er an einer Art Joystick, mit dem er den Pflug, die Schaufel vorne bedient. Vor ihm ein Bildschirm, sehr viele Knöpfe – ich wäre überfordert. «Es ist einfacher als es aussieht», sagt Yanick Wyss. Eine Ausbildung musste er keine machen. «Die Autoprüfung reicht». Vieles ist «Learning by doing». «Dass ich geübt bin im Umgang mit grossen Maschinen, hat sicher geholfen.» Neben seinem Job als Pistenfahrer hilft er seinem Vater auf dem Bauernbetrieb. Im Sommer arbeitet er temporär auf dem Bau – und geht mit den Tieren seines Vaters auf die Alp. In naher Zukunft möchte er das Jagdbrevet machen.
Arbeiten vor einer Traumkulisse
Es ist 18 Uhr, die letzten Sonnenstrahlen beleuchten die verschneiten Berggipfel. Eiger, Mönch und Jungfrau erstrahlen im Abendrot. Wieso ich Yanick Wyss wohl gerade jetzt frage, was ihm an der Arbeit am besten gefällt? «Diese Stimmung, diese Aussicht», antwortet er wenig überraschend, aber auch: «Mit meiner Arbeit bereite ich den Leuten eine Freude. Das macht mich glücklich.» Lob über eine «perfekt präparierte Piste» ist denn für ihn auch der schönste Lohn für die nächtliche Arbeit.
Nicht ungefährlich
Wir sind stets mit 13 bis 16 Stundenkilometern unterwegs. Ab und zu stoppt Yanick Wyss, steigt aus, hängt das Drahtseil ein, nimmt die Winde des Pistenfahrzeugs in Betrieb. «Damit wir an steilen Stellen nicht abrutschen.» So ganz ungefährlich erscheint mir der Job nicht. «Man muss einfach bei der Sache sein», relativiert Yanick Wyss, «und in brenzligen Situationen richtig reagieren.» Als er zum ersten Mal ohne Seilwinde ins Rutschen gekommen sei, habe er auch kurz Angst verspürt. Mittlerweile aber lässt ihn so schnell nichts mehr aus der Ruhe bringen. Über 60 Prozent Neigung zeigt der Bildschirm kurze Zeit später an, als wir an der Winde befestigt runterfahren. Mir entgleist ein «Ganz schön steil». Als Antwort bekomme ich ein «Das ist noch gar nichts.» Wenn Yanick Wyss die Seilwinde benutzt, stellt er ein Warndreieck auf. «Es kommt immer wieder vor, dass auch nachts noch Skifahrer*innen oder Leute mit dem Schlitten unterwegs sind, nicht selten leicht angetrunken. Wenn die das Drahtseil nicht sehen oder dieses irgendwo hängenbleibt und dann über die Piste schnellt. Dann wird es lebensgefährlich.»
(K)ein Perfektionist
Immer wieder schaufelt Yanick Wyss Schnee, den die Skifahrer*innen im Verlauf des Tages nach unten gerutscht haben, wieder nach oben. Oder um es in den Worten von Wikipedia zu schreiben: «Das Pistenfahrzeug schiebt Schnee vor sich her und gleicht damit Unebenheiten des Untergrunds aus. Gleichzeitig wird der Schnee durch das Gewicht des Fahrzeugs verdichtet und mit der Nachlauffräse «umgegraben» und geebnet. Dies sorgt für eine über längere Zeit haltbare Skipiste.» Doch zurück zu Yanick Wyss: Am Bildschirm sieht er, wie viel Schnee unter ihm liegt. «Noch über ein Meter, das sieht gut aus.» Fast zentimetergenau präpariert er die Piste. «Nein, ich bin kein Perfektionist», sagt er. Ich kaufe es ihm nicht ab.
Es ist 20 Uhr. Die meisten Pistenfahrer treffen sich zum gemeinsamen Abendessen. Yanick Wyss arbeitet weiter. Er schiebt sich ein Snus-Beutelchen unter die Oberlippe und sagt: «Das ist mein Znacht». Er will gar nicht erst raus aus der Einsamkeit der Nacht. Lieber sucht er die unebene Fahrspur beim Skilift Gimmeln auf – und macht sie wieder gerade.
Die «White Brothers»
Die Nacht schreitet voran. Die Gespräche werden persönlicher, offener. «Ich sage was ich denke», sagt Yanick Wyss. Er erzählt von seinen Eltern – und seinem Zwillingsbruder. Von den Streichen, die sie früher spielten. «Auch heute noch sehen wir haargenau gleich aus.» Stolz zeigt er seine Kappe, auf der «White Brothers» steht. «Man kennt mich mittlerweile als White, das tönt viel cooler als Wyss.» Was auffällt: Egal ob auf dem Pistenfahrzeug im Winter, im Sommer auf der Alp oder beim Steinböcke beobachten mit seinem Bruder. Yanick Wyss mag die Einsamkeit. «Hauptsache keine Leute», sagt er denn auch das eine oder andere Mal in dieser Nacht.
Mitfahrer*innen hat Yanick Wyss denn auch nur selten. Die Musik hingegen ist auf seinen nächtlichen Touren ein ständiger Begleiter. «Am liebsten höre ich Örgelimusik, das verstehen viele in meinem Alter nicht, aber ich bin nun mal damit aufgewachsen.» Und: «Je nach Stimmung höre ich auch gerne mal Linkin Park oder Rammstein.» Im Scheinwerferlicht erblicke ich in etwa 100 Metern Entfernung zwei leuchtende Augen. «Ein Fuchs», sagt Yanick Wyss. Manchmal sehe ich in einer Nacht bis zu 15 Stück. Auch Schneehasen kreuzen ab und zu seine Fahrspur.
Zum Glück sitze nicht ich am Steuer
Es ist 21 Uhr. Ich werde langsam müde. Dieses Gleichmässige, Monotone hat etwas Beruhigendes. Wir sind oben am Schiltgrad angekommen, auf über 2100 Metern über Meer. Ich habe längst die Orientierung verloren. «Dort ist Birg», sagt Yanick Wyss und zeigt auf ein Licht. Auf der anderen Talseite erblicke ich die Scheinwerfer der Pistenfahrzeuge von Grindelwald-Wengen. Zum Glück sitze nicht ich am Steuer. «Ich mache noch kurz diese Traverse, dann stelle ich dich zurück nach Mürren.»
Es ist kurz vor 22 Uhr. Ich werde gleich mit der Schilthornbahn zurück nach Stechelberg fahren, während Yanick Wyss noch bis etwa 2 Uhr morgens für perfekt präparierte Pisten sorgt. «Komm gut nach Hause», ruft er mir hinterher, steigt ins Pistenfahrzeug und fährt davon. Bald sind nur noch die Rücklichter zusehen, ehe Yanick Wyss wieder ganz in der Einsamkeit der Nacht verschwindet.
Mehr Informationen
Schilthornbahn AG
Fotos: Salome Näf
Story: Raphael Hadorn
Winter 2022
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