Cleeves Palmer

«Eines der schönsten Tourismusdörfer der Welt»

Seit 53 Jahren kommt Cleeves Palmer, der ehemalige Präsident des Kandahar Ski Clubs, fast jeden Winter zum Skifahren nach Mürren. Wir haben den 60-jährigen Briten zum Gespräch getroffen.

Kaum in Mürren angekommen stellen wir fest: Das ist kein normaler Samstag. An diesem Wochenende finden die 79. Internationalen Inferno-Rennen statt. Im Dorf kommen uns viele Skifahrer*innen im Renndress und mit Startnummer entgegen. Sie haben die Strecke bereits absolviert, andere fahren für den Start erst hoch aufs Schilthorn. Beim Ziel auf dem Skischulgelände herrscht reges Treiben, immer wieder fahren Rennfahrer*innen durch den Zielbogen – erschöpft, aber glücklich. Zu ihnen gehört auch Cleeves Palmer aus England. Der 60-Jährige hat soeben zum 36. (!) Mal die Inferno-Abfahrt bestritten. «Ich bin nicht mehr der Jüngste», stellt er fest, wobei das Rennen aufgrund seiner Länge vor allem eine mentale Herausforderung sei. «Man muss bis zum Schluss konzentriert bleiben.»

«Perfekt organisiert»

Cleeves Palmer in jungen Jahren: Im Rennmodus auf der Inferno-Abfahrt
Cleeves Palmer in jungen Jahren: Im Rennmodus auf der Inferno-Abfahrt

In der Woche zuvor haben auf der gegenüberliegenden Talseite die Internationalen Lauberhornrennen stattgefunden – die Abfahrt auf der längsten Weltcupstrecke der Welt. Die Inferno-Abfahrt, mit Gegensteigungen und Flachstücken, ist mit 14,9 km mehr als drei Mal so lang, wenn sie den auf der Originalstrecke vom Schilthorn bis nach Lauterbrunnen stattfindet. Heuer ist bereits in Mürren Schluss, nach «nur» 7,6 km. «Die Piste war einmal mehr super präpariert, das Rennen perfekt organisiert», lobt Palmer die Veranstalter. Egal ob Allmendhubel – Lauterbrunnen, Schilthorn – Winteregg, Birg – Lauterbrunnen oder auf der Originalstrecke – der Brite von der Südküste Englands hat das Rennen bereits auf neun verschiedenen Streckenführungen absolviert.

Wer hats erfunden? Die Briten

So sah es früher aus: Mürren in den Anfängen der Inferno-Rennen
So sah es früher aus: Mürren in den Anfängen der Inferno-Rennen

Cleeves Palmer ist der ehemalige Präsident des Kandahar Ski Clubs. 1928 hat dieser Club die Inferno-Rennen ins Leben gerufen. Damals stiegen 17 Mitglieder des Clubs hinauf zum Schilthorn, um danach die Strecke bis nach Lauterbrunnen unter die Ski zu nehmen.

Königliche Teilnehmerin: Pippa Middleton
Königliche Teilnehmerin: Pippa Middleton

Wer Cleeves Palmer eine Frage stellt, bekommt eine fünfminütige Antwort. Das ist keine Kritik. Es ist spannend, ihm zuzuhören. Er erzählt von einem Interview, das er mit dem österreichischen Fernsehsender ORF geführt hat, live auf Sendung. «Sie haben mir die erste Frage gestellt, auf Deutsch. «Ich spreche kein Deutsch», habe ich geantwortet. Der Reporter war so perplex, dass er das Interview abgebrochen hat.

Ja, und einmal wurde er eingeladen, Pippa Middleton – die Schwester von Prinzessin Kate, der Ehefrau von Prinz William – zwei Tage lang in Mürren herumzuführen. «Das war eine tolle Erfahrung.»

Der Gründer des Kandahar Ski Clubs: Sir Arnold Lunn
Der Gründer des Kandahar Ski Clubs: Sir Arnold Lunn

Auf spannenden Umwegen landen wir bei den Anfängen «seines» Ski Clubs. Dieser hat seinen Namen vom Roberts of Kandahar Challenge Cup. Und dieser wiederum von Feldmarschall Earl Roberts, damals stationiert im afghanischen Kandahar, erfahren wir.

Gründer des Clubs und gleichzeitig Erfinder des modernen Slalom ist Sir Arnold Lunn. «1922 fand in Mürren das erste Slalomrennen der Geschichte statt», erzählt Palmer. Ebenso 1931 die ersten von der FIS organisierten alpinen Skiweltmeisterschaften. «Die erste WM der Geschichte fand in der Schweiz statt, organisiert von den Briten, man stelle sich das heutzutage vor», denkt Palmer laut. Mürren und Grossbritannien – das geht zurück bis zum ersten Weltkrieg. Damals waren die Briten zu Hunderten in Mürren interniert. Lunn organisierte für sie Skikurse. Nach dem Ende des Weltkriegs hatten die heimkehrenden Soldaten den Ruf des Kurorts über ganz Britannien verbreitet – und sorgten so für einen wahren Boom.

Doppelsieg in Kitzbühel

Gemeinsam unterwegs: Cleeves Palmer und der britische Slalomspezialist Dave Ryding
Gemeinsam unterwegs: Cleeves Palmer und der britische Slalomspezialist Dave Ryding

Der Kandahar Ski Club zählt heute 1700 Mitglieder*innen, drei von ihnen fahren derzeit im Weltcup und gehören zur Weltspitze. Der französische Speed-Spezialist Blaise Giezendanner sowie zwei Slalom-Cracks: Der Schweizer Daniel Yule und der Brite Dave Ryding. «Letzteren kenn ich sehr gut, zuletzt habe ich ihn nach dem Slalom in Wengen getroffen.» Cleeves Palmer zeigt uns Fotos von ihm, und sagt: «Ich schweife ab, es tut mir leid.» Während wir im Hotel Bellevue mit Palmer reden – oder besser gesagt, er mit uns – läuft im TV in der Lobby die legendäre Kitzbühel-Abfahrt. Blaise Giezendanner wird 27. Was Palmer zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss. Am Sonntag wird der Kandahar Ski Club in Kitzbühel den grössten Erfolg seiner 99-jährigen Geschichte feiern. Einen Doppelsieg durch Yule und Ryding in einem der prestigeträchtigsten Slaloms im Weltcupkalender.

Ein Loblied auf die Jungfrau Region

Das verschneite Dorf Mürren von der Vogelperspektive aufgenommen

Zurück zu den Inferno-Rennen. In diesem Jahr sind rund 300 Mitglieder*innen des Kandahar Ski Clubs in Mürren. «Die meisten bleiben mehrere Nächte – und sie geben ihr Geld in Mürren aus», sagt Cleeves Palmer – um dann ein Loblied auf die Jungfrau Region anzustimmen. «Für mich ist Mürren eines der schönsten Tourismusdörfer der Welt. Hier hat es keine Menschenmassen. Hier findest du noch unberührten Pulverschnee. Mürren steht für Qualität, nicht Quantität.» Palmer schwärmt aber auch von den schönen roten und blauen Pisten in Wengen. Oder von Grindelwald, wo es ihm im März besonders gefällt. Und welcher Ort in der Jungfrau Region geniesst in England am meisten Kredit? «Im Sommer Grindelwald. Im Winter vermutlich Wengen, wegen den Lauberhornrennen. Die geniessen auch bei uns, im wintersporttechnisch besten Nicht-Ski-Land der Welt einen hohen Bekanntheitsgrad. Als vor einem Jahr – zum Glück nur kurz – die Runde machte, dass die Lauberhornrennen aus dem Weltcupkalender gestrichen werden sollen, dachte ich nur: «The world is going mad – die Welt spielt verrückt.»

Cleeves Palmer kommt seit 53 Jahren fast jeden Winter zum Skifahren nach Mürren. Hier hat er ein «zweites Zuhause», ein Chalet, gleich beim diesjährigen Zielgelände der Inferno-Rennen. Rund 50 Tage pro Jahr verbringt er hier. Aber auch im Frühling, Sommer und Herbst besucht er zusammen mit seiner Frau gerne die Jungfrau Region. Sein Geheimtipp: September in Mürren, wenn es noch einmal warm wird und sich der Herbst von seinen schönsten Farben zeigt. In seinem «zweiten Zuhause (neben dem Clubhaus in London) wird der Kandahar Ski Club nächstes Jahr, am 30. Januar, eine Woche nach den 80. Inferno-Rennen, sein 100-jähriges Bestehen feiern. «Es wird ein Dinner geben, wir erwarten mehrere hundert Clubmitglieder.» Mürren wird fest in britischer Hand sein – den Skisport zelebrieren. Und mittendrin natürlich: Cleeves Palmer.

Zur Person

Cleeves Palmer ist eine dieser umtriebigen, britischen Persönlichkeiten, welche das besondere Flair von Wengen, Grindelwald und Mürren ins Vereinigte Königreich tragen. Er ist verbunden mit der Familie von Walter Amstutz, mit dem er über zwanzig Jahre lang Ski gefahren ist. Amstutz ist ein Schweizer Skisport- und Alpinismus-Pionier, das brachte Palmer nach Mürren. Und so wurde er Mitglied im Kandahar Ski Club. Er war Club-Kapitän (1993 bis 2000), Stellvertretender Vorsitzender (2004 bis 2006), Vorsitzender (2006 bis 2011) und Präsident (2011 bis 2018). Seit 2018 ist er Ehrenmitglied. Er arbeitet seit 1980 in seinem eigenen Familienunternehmen, der «Palmers Brewery».


2000 erhielt Cleeves Palmer die Arnold Lunn Medaille für besondere Verdienste um den alpinen Skisport. 1999, 2011 und 2023 war er Roberts of Kandahar Gewinner. Bei der Inferno-Abfahrt 1997 war er bester Brite.

Cleeves Palmer ist verheiratet mit Dwina und Vater von Sophie und Mark.

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